Der unterschätzte Ansatz: Wie das deutsche Schulsystem dem Fachkräftemangel entgegenwirken kann.
Der Fachkräftemangel fordert die deutsche Wirtschaft extrem heraus – und das sollte den Blick auf unser Bildungssystem lenken. Aus meiner Sicht liegt hier der Schlüssel zur Lösung der Misere und wir müssen Technologie und Zukunftskompetenzen in Schulen und Bildungseinrichtungen entschlossen integrieren, damit der Nachwuchs hier die richtigen Fähigkeiten erlangt. Doch wie können wir sicherstellen, dass die Bildung unserer Kinder sie optimal auf die Anforderungen der digitalen Arbeitswelt vorbereitet? Drei Ansätze, wie das deutsche Schulsystem dem Fachkräftemangel entgegenwirken kann.
„Wir sind nun digital” – Diesen Satz höre ich immer wieder von Lehrenden, Lernenden und Eltern. Aber was genau ist “digital”? Die Antwort ist erschreckend und lustig zugleich: “Wir schreiben auf Tablets und die Unterlagen bekommen wir in Zukunft auch digital”.
Das deutsche Schulsystem kann dem Fachkräftemangel entgegenwirken – aber nicht, indem das Schreiben und Lesen auf Tablets ab der 1.Klasse zur „digitalen Kernqualifikation” gemacht wird. Unsere Schüler und zukünftigen Fachkräfte brauchen Future Skills – Fähigkeiten, wie Kreativität, Offenheit, gepaart mit Experimentierfreudigkeit auf digitalen Lernmedien. Dinge, die für Motivation sorgen und Kinder für Neues begeistern. Und genau das brauchen wir in Deutschland, um den Fachkräftemangel zu reduzieren: Offenheit für Neues, Motivation und Begeisterung!
Viel zu oft beschränkt sich die Betrachtung der Digitalisierung in der Bildung auf den bloßen Einsatz von Tablets und anderer Hardware im Unterricht. Diese oberflächliche Annäherung an das Thema „Digitalisierung” führt jedoch nicht zu den dringend benötigten Lösungen, die wir brauchen, um die Zukunftsfähigkeit unseres Bildungssystems zu gewährleisten.
Was muss sich jetzt ändern? 3 konkrete Punkte möchte ich hier nennen.
1. Ganzheitliche Förderung der „Future Skills”:
Future Skills meint zum einen digitale Fähigkeiten, aber auch Softskills wie Beurteilungsvermögen, Kreativität, Folgebewusstsein, was bedeutet, dass ich mir den Folgen meines Handelns bewusst sein muss, Wertebewusstsein und Eigenverantwortung. Auch weitere Aspekte wie Problemlösung, kritisches Denken, Teamarbeit und Kommunikationsfähigkeiten spielen eine ganz wesentliche Rolle. In Schulen sollten nicht nur digitale Kompetenzen vermittelt werden, sondern auch der notwendige Raum geschaffen werden, in dem Schülerinnen und Schüler ihre Talente entfalten können. Eine kollaborative Lernumgebung und die Begleitung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrer sind dabei von entscheidender Bedeutung. Eine mögliche Lösung wäre, die individuellen Stärken und Interessen der Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen, Eigeninitiative zu fördern sowie Fehler und Fragen zu erlauben – was bislang nicht selbstverständlich ist. Aber wie schaffen wir es, eine Vielzahl unterschiedlicher Charaktere gemeinsam lernen zu lassen und gleichzeitig auf ihren Lebensweg vorzubereiten? Durch die Einbindung interaktiver und digitaler Lernräume in den Unterricht. Denn so wecken wir das Interesse, „Neues” auszuprobieren, fördern Kreativität durch eine spielerische Herangehensweise und lassen Fehler ganz bewusst zu.
2. Lernen in interaktiven, digitalen Lernräumen
Interaktive, digitale Lernräume bieten vielfältige Möglichkeiten, das Lernen spannender und effektiver zu gestalten. Pures Auswendiglernen entfällt durch den Einsatz von multimedialem Material, interaktiven Übungen, virtuellen Simulationen und dem Einsatz von Augmented Reality. Ab den weiterführenden Schulen sollte auch der Einsatz von Virtual Reality in Betracht gezogen werden, denn so können Schülerinnen und Schüler auf ganz neue (spielerische) Weise lernen und ihr Verständnis vertiefen. Und das Beste daran: Es macht Spaß!
Diese Lernumgebungen fördern nicht nur die digitale Kompetenz, sondern auch weitere Fähigkeiten wie Problemlösung, Kreativität, Teamarbeit und Kommunikation.
Um das volle Potenzial digitaler Lernumgebungen auszuschöpfen, ist es wichtig, dass Lehrende entsprechend geschult werden. Eine Studie des CHE (Centrum für Hochschulentwicklung) aus dem Jahr 2023 zeigt, dass in der Hochschullehre bereits Maßnahmen zur Förderung von Future Skills umgesetzt werden. Von rund 3.500 befragten Professorinnen und Professoren an deutschen Hochschulen gaben ein Großteil an, dass je nach Fächerwahl 5 von 22 abgefragten Future Skills bereits „stark” bis „sehr stark” gefördert werden. Hierzu gehören die Zukunftskompetenzen Kritisches Denken und Problemlösung.
Am Beispiel der BWL wird sichtbar, wie Zukunftskompetenzen, sog. Future Skills, bereits fest im Studienalltag integriert werden, wie folgendes Profil zeigt:
Quelle: https://www.che.de/2023/foerderung-von-future-skills-in-der-hochschullehre-aus-professorinnensicht-fuer-acht-faecher/
Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung, aber das volle Potential digitaler Lernräume wird auch hier bei weitem noch nicht ausgenutzt. Es braucht eine ganzheitliche Sichtweise und eine Basisqualifizierung für Lehrende und Lernende.
3. Digitale Basisqualifikationen für Lehrende und Lernende:
Um die Potenziale der Digitalisierung im Bildungsbereich voll ausschöpfen zu können, ist es unerlässlich, dass sowohl Lehrende als auch Lernende über grundlegende digitale Basisqualifikationen verfügen – das ist bislang in Deutschland nicht so. Dies umfasst nicht nur die Bedienung von Tablets und anderen technologischen Geräten, sondern auch die Fähigkeit, digitale Medien kritisch zu hinterfragen und verantwortungsvoll zu nutzen. Denn: Die Zeit der Vermittlung von reinem Fachwissen ist vorbei. (Fach-)Wissen kann von jedem Ort aus abgerufen werden, aber es muss hinterfragt werden. Schulen spielen dabei eine Schlüsselrolle, indem sie sicherstellen, dass digitale Bildung fest im Lehrplan integriert wird und alle Beteiligten die notwendige Unterstützung erhalten, um ihre digitalen Fähigkeiten kontinuierlich weiterzuentwickeln. Ein ganzheitlicher Ansatz, der die Entwicklung von “Future Skills” und digitalen Basisqualifikationen gleichermaßen betont, ist entscheidend, um dem Fachkräftemangel erfolgreich entgegenzuwirken und die Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungssystems zu sichern.
Fazit:
Das deutsche Schulsystem kann dem Fachkräftemangel entgegenwirken – aber nur, wenn wir unter Digitalisierung mehr verstehen als den reinen Einsatz von Geräten. Die Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen bietet eine Chance für die Bildung, den Fachkräftemangel zu bekämpfen und die Potenziale der Digitalisierung optimal zu nutzen. Wir sind in der Pflicht, unseren Kindern eine Bildung zu ermöglichen, die sie auf eine erfolgreiche Zukunft vorbereitet, in der sie sich wohlfühlen und Spaß am Lernen haben. Nur so lässt sich der Wirtschaftsstandort Deutschland am Leben erhalten.